Auf der Suche nach der idealen Fortbildung im Internet
Immer mehr virtuelle Lernangebote
Eine Entdeckungsreise von Georg Holzach, FAZ
Eine Entdeckungsreise von Georg Holzach, FAZ
Sie wollen arbeiten. Sie wollen in Ihrem Job weiterkommen. Und deshalb wollen Sie lernen. Am besten im Internet, abends zu Hause und am Wochenende. Nun gab es schon immer das Fernstudium. Die Fernuniversität Hagen hat eine große Auswahl an Studiengängen und einen guten Namen. Doch da werden zumeist Bücher und Studienunterlagen noch mit der Post hin- und hergeschickt.
Virtuell zu studieren würde viele Vorteile bringen: Im Internet lesen Studierende Texte, füllen Fragebögen aus, sehen Vorlesungen, chatten, konferieren und kooperieren. Sich den Text einer Vorlesung aus dem Netz zu kopieren erspart es, Freunde um deren Mitschriften zu bitten. Fragebögen rechnen automatisch aus, ob man die richtigen Antworten angeklickt hat. Im Chatroom registrieren und identifizieren sich die Teilnehmer. Das sorgt für Disziplin. Sie stellen Fragen an die Professoren, Tutoren und Kommilitonen, die auch gerade eingeloggt sind.
Der Vorteil gegenüber dem direkten Gespräch ist klar: Jeder Teilnehmer kann zurückscrollen, also in der Zeit zurückspulen, und die verpaßten Gespräche nachlesen. Die eigenen Fragen wurden möglicherweise schon beantwortet. Und man braucht die gleichen Basisfragen nicht zum x-ten Mal zu stellen. In Chats tauscht man sich direkt miteinander aus, also zeitgleich oder synchron. In Newsgroups hinterläßt man Fragen und Antworten wie Nachrichtenzettel, die auch später beantwortet werden können, also asynchron, wenn der gesuchte Ansprechpartner sich einloggt.
In Konferenzen spricht man mit Partnern über Mikrophon, Lautsprecher, Webcam und Bildschirm wie bei Videokonferenzen. Das ist wie Telefonieren, aber zu fünft und mit Bild. So kooperieren Partner in Projektgruppen zeitgleich, aber jeder an seinem Ort. Die Partner reichen ihr gemeinsames Projekt über E-Mail herum, oder sie bewegen sich gleichzeitig und unabhängig voneinander im gemeinsamen Programm. So ersetzen interaktive Programme im Netz die persönliche Begegnung. Die Videoaufzeichnung der Vorlesung ist als „streaming video“ zu sehen; nicht unbedingt zur gleichen Zeit, sondern später abrufbar in einem Archiv. Das Seminar wird zur Talkshow mit Professoren, abends im Fernsehen.
Das ist die Vision des virtuellen Studiums. Was sie nicht ersetzt, sind Praktika, Übungen, Laborarbeit und Prüfungen. Viele Hochschulen erwarten deswegen ihre Studierenden an Wochenenden oder zu Blockseminaren während der Ferienzeit. In diesen Momenten wird das virtuelle Studium reell und lokal. Also braucht man eine Hochschule in Reichweite.
Das führt uns zu der größten Hürde, sozusagen der inoffiziellen Aufnahmeprüfung für alle, die virtuell studieren wollen: der Recherche. Welche Hochschule bietet wo welchen Studiengang? Welche Präsenz, Voraussetzungen, welchen Zeitaufwand, welche Leistungen und Gebühren verlangt sie?
Welche Inhalte, Kommunikationswege, Diplome bietet sie? Der verwirrte Netizen (net + citizen = Netzbürger) sitzt vor seinem PC und fragt sich, wie er diese Informationen findet. Die Antwort ist schon die Adresse: www.studieren-im-netz.de. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung präsentiert einen schwindelerregenden Überblick über gut tausend Links zu deutschen und einigen europäischen Hochschulen. Jetzt heißt es nicht aufgeben, sondern scrollen, suchen, weiterklicken.
Die Anbieter sind Universitäten, Fach-, Film-, Kunst- und Musikhochschulen sowie Berufsakademien. Zur Auswahl stehen die Themen Agrar-, Sozial-, Kultur- und Naturwissenschaften, Technik, Medizin, Pharma, Recht und Wirtschaft. Die Formen reichen von einzelnen Unterrichtseinheiten, für die es zum Teil Zertifikate gibt, bis zu Grund-, Haupt- und Aufbaustudiengängen, die zu Abschlüssen wie Bachelor, Diplom oder Master führen.
In das Feld „Freie Suchworte“ geben wir „Master“ ein und erwarten alle Studiengänge, die zum Master führen. Flop. Wir geben „Hagen“ ein. Kein Ergebnis. „Abschluß„? Auch nichts. „Abschluss“ mit Doppel-s. Nada. Das ist ja gerade der Charme am Leben im Internet. Man geht ins Netz und ist gefangen. Es kann und darf nicht alles gleich funktionieren. Also geben wir kein freies Suchwort ein, sondern klicken auf „Universität“ und „Informatik„.
Das Ergebnis lautet: 383 Einträge. Jetzt heißt es geduldig sein. Die Stichwörter „Fachhochschule“ und „Recht und Wirtschaft“ ergeben 62 Einträge. Wir sortieren nach der Rubrik „Lernarten“ und überspringen das „Onlinescript mit interaktiven Elementen“, das „CD- ROM/Offline Lehr- und Lernsystem„, und das Fernstudium mit netzbasierten Komponenten genügt uns auch nicht. Aber hier bleiben wir hängen: Die Fachhochschulen Ludwigshafen und Worms bieten ein MBA-Programm als komplettes Online-Studium in Zusammenarbeit mit den Universities of North Carolina und South Alabama an. Das ist zwar nicht Harvard, aber es ist ein MBA, ein Master of Business Administration.
Wenn man sich schon die Mühe macht, nebenberuflich zu studieren, dann sollte dabei auch eine Qualifikation herauskommen, die man anwenden und sich bezahlen lassen kann. Ein MBA von Worms. In der weiteren Recherche fallen unbekannte Universitäten mit zukunftsweisenden Kooperationen auf.
Zwölf nördliche Fachhochschulen zum Beispiel in Ostfriesland und Stralsund arbeiten mit Fachhochschulen in Hamburg, Lübeck und Berlin an einer „Virtuellen Fachhochschule“ (www.vfh.de) zusammen. Sie entwickeln Studienprogramme ausdrücklich für Berufstätige, Selbständige, Existenzgründer, Behinderte, Wehrpflichtige und Leute, die „jung sind, gerne im Internet surfen, Computerspiele lieben und gleichzeitig etwas für ihre berufliche Zukunft tun wollen“. Also für Sie!
Sie folgen dem Hinweis auf www.oncampus.de und erfahren, daß Sie von September 2001 an Ihr Studium in Medieninformatik beginnen können. Dann machen Sie nach drei Jahren Ihren Bachelor und nach weiteren zwei Jahren Ihren Master. Das Studium ist modular aufgebaut. Für bestandene Module gibt es Credit Points nach ECTS, dem European Credit Point Transfer System.
Spätestens das nimmt dem Studium den provinziellen Beigeschmack einer Fachhochschule Ostfriesland. Vom Sommer 2002 an kann man auf diesem Wege auch ein Diplom-Wirtschaftsingenieur werden. Das dauert vier Jahre.
Wer schon einen technischen oder naturwissenschaftlichen Hochschulabschluß hat, kann das Diplom in zwei Jahren machen. Doch eine Warnung an Interessenten aus dem Süden Deutschlands: 20 Prozent der Studienleistungen wie Prüfungen und Laborarbeiten sollen in Präsenz erbracht werden, abends und an Wochenenden. Das würde allerdings bedeuten, man besteigt entweder Freitag abends nach dem Büro den Jet nach Stralsund ins Labor oder wählt vielleicht doch eine andere Fachhochschule.
In Bayern zum Beispiel, in Deggendorf, zwei Autostunden nordöstlich von München, kann man in der „Virtuellen Hochschule Bayern“ Wirtschaftsingenieur werden. Dann ist man eine begehrte Arbeitskraft beispielsweise für Siemens. Denn die Siemens-Abteilung für Aus- und Weiterbildung entwickelt den Studiengang gemeinsam mit der Virtuellen Hochschule und dem Bayerischen Fernsehen.
Mit technischen oder wirtschaftlichen Vorkenntnissen steigt man ins vierte Semester Wirtschaftsinformatik ein, macht nach dem sechsten Semester einen Bachelor. Das „web-based training“ (wbt) am Computer wird bereichert durch Fernsehsendungen. Dieses Angebot ist außergewöhnlich: Das Bayerische Fernsehen produziert zu fünf Themen jeweils 14 Magazinsendungen mit Moderatoren und Professoren im Studio, die jeder auf dem Kabel- und Satellitenkanal br-alpha von Montag bis Freitag zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr sehen kann. Wer sie verpaßt, schaut am Morgen im Computer das „streaming video“ aus dem Online-Archiv.
Die Hälfte der Studienleistungen verbringt man am Wochenende in der Fachhochschule mit Übungen zu Informationsmanagement oder mit IT- Englisch-Unterricht. Zur Zeit muß man dafür noch nach Deggendorf fahren. Die Virtuelle Hochschule will jedoch über kurz oder lang regionale, nationale und internationale Partner-Hochschulen finden. Dann wird das virtuelle Studium global. Wer sich nicht zu Präsenzveranstaltungen verpflichten will, verzichtet auf das Diplom und studiert einzelne Module oder sucht sich einen anderen Veranstalter.
Wird sich das Studium im Netz durchsetzen? Fachleute beantworten die Frage mit einem eindeutigen Ja. Ihr Argument: Auch Personal Computer und Mobiltelefone werden inzwischen wie selbstverständlich genutzt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit werden auch immer mehr Studierende die virtuellen Angebote der Hochschulen in ihr Arbeitsleben eingliedern: je nach den Anforderungen des Arbeitsmarkts oder einfach aus Interesse, Lust und Laune.
Weitere Informationen:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.05.2001, Nr. 116, S. 67
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