Das Becken ist haiverseucht
Georg Holzach und Werner Schmidbauer über die Jugendsendung „Live aus dem Alabama“
Am Montag lief die letzte Ausgabe von Live aus dem Alabama mit den Moderatoren Georg Holzach und Michäla Haas.
Nach der Sommerpause soll die Sendung nicht mehr montags um 19 Uhr, sondern donnerstags um 20.15 Uhr gezeigt werden.
Ein neuer Versuch, mehr Jugendliche zu erreichen. Für die SZ trafen sich der langjährige Alabama-Moderator Werner Schmidbauer und Georg Holzach.
SZ: Herr Holzach, noch ist fast jeder was geworden, der Live aus dem Alabama mal moderiert hat. Was werden Sie denn jetzt?
Holzach: Ich suche einen neuen Spielplatz, wo ich mich austoben kann.
SZ: Wie war denn bei Ihnen der Tag danach, Herr Schmidbauer?
Schmidbauer: Prima. Ich habe 460 Folgen Live aus dem Alabama gemacht. Nach der letzten Moderation war ich heilfroh.
SZ: Wie oft sehen Sie sich die Sendung denn jetzt an?
Schmidbauer: Ganz selten. Ich hab die Sendung noch interessehalber zwei- oder dreimal verfolgt. Das war’s. Nicht, dass ich sauer war, ich hab einfach am Montag was anderes vorgehabt.
SZ: Natürlich, aber vergleicht man nicht? Und davor Herr Holzach? Misst man sich nicht mit den Vorgängern?
Holzach: Das war nie Thema, dass ich mal so werde wie der oder der, das geht auch gar nicht. Du bekommst ohnehin genug Direktiven von der Redaktion, wie man so zu sein hat.
Schmidbauer: Wenn ich meine ersten Sendungen anschaue, die waren teilweise auch deshalb legendär, weil wir so schlecht waren. Die sind uns teilweise aus der Hand geglitten. Da gab es dann den Grimme- Preis fuer ärger sozusagen. Eine Jugendsendung lebt auch davon, dass die Moderatoren sich austesten. Aber heute hast du nicht mehr diese Vorlaufpiste.
SZ: Wie wichtig sind die Moderatoren?
Schmidbauer: Also, es hängt sicher viel an den Köpfen, weil es so viele Köpfe gibt. Wenn es überhaupt ein Problem gab fuer die neuen Moderatoren, dann nicht, dass sie besser oder schlechter sind, sondern, dass sie nicht bekannt sind.
Holzach: Heute gibt es den Schrecken Arabella. Die hat viel schneller alle Tabus gebrochen, weil sie viel pragmatischer, viel kundenorientierter und was Moral angeht, viel gleichgueltiger vorgegangen ist. Wie kann man da noch bestehen, wenn das Format nicht mehr das grosse Ding ist, das es in den 80er Jahren war?
SZ: Herr Schmidbauer, haben Sie sich damals auch so geschäftliche Hintergedanken gemacht?
Schmidbauer: Nein, ich war mit 22 noch zu jung. Wir haben ziemlich bald gemerkt, welche Themen funktionieren: Reizthemen und Grenzerfahrungsgeschichten. Jetzt ist die Sendung kurzgliedriger, auch ein bisschen hektischer. Ich glaub‘, die Jugendlichen sind auch so drauf. Wenn du dir Viva oder MTV anschaust, dagegen ist Alabama doch eine Opisendung.
SZ: Hat sich das Publikum so verändert?
Holzach: Ja, die Leute, die heute 20 sind, wenn die irgendwas brauchen, dann Orientierung in einer Reizüberflutung. Die Kids, die heute rumlaufen, haben alles, kriegen alles. Die muessen keine Mauern einrennen, sondern wählen.
Schmidbauer: Aber das ist schon auch eine Frage der Selektion durch die Redaktion. Dieser Mut damals, es gab ja viele kritische Situationen, wo auch die Redaktion angemacht worden ist. Da wurden bewusst Leute aus Grenzbereichen gesucht, vor denen sogar wir Moderatoren Schiss bekommen haben. Man muss auch sehen, dass sich die Redaktion von Alabama immer wieder verändert hat. Und du bekommst eine grössere Charakterveränderung der Sendung, wenn die Redaktion sich ändert, wenn die plötzlich sagt: Ich will nicht den grösstmöglichen Zoff. Am Anfang waren die einfach wilder drauf.
Holzach: Wir haben eine Punksendung gemacht in Frankfurt, da waren die Chaostage gerade vorbei. Womit wir nicht gerechnet hatten, war, dass die 30 Freunde mitbringen. Also da wurde das wieder mal riskiert, vielmehr ist es einfach so passiert. Aber da denkt sich die Redaktion natuerlich danach, wollen wir uns jetzt diesen Kampf antun? Es ist eine ganz pragmatische Abwägung der personellen Risiken in dem hierarchischen Geflecht eines Senders.
SZ: Spricht das nicht dafuer, dass Alabama eine zu alte Jugendtalkshow ist?
Holzach: Nein, sie ist gut, aber sie wurde überholt durch viele andere Sendungen, die viel krasser sind.
SZ: Sollte sich Alabama also anpassen?
Schmidbauer: Also mein Anspruch an Alabama war immer, auf eine unspektakuläre Weise tiefer zu gehen. Wenn du etwa mit vergewaltigten Frauen sprichst, solltest du mit ihnen über das Erlebnis sprechen, aber eben nicht, wie es in anderen Talkshows üblich ist, fragen: Na, wie ist er denn in dich eingedrungen und hat es nicht doch ein wenig Spass gemacht? Alabama ist, dass du diesen Elfmeter nicht schiesst. Es ist eine sehr unspektakuläre Art, die von den anderen Talkshows vollkommen niedergeplättet wird. Und das ist auch das, wo ich bei Alabama so ein Gefuehl der Unzufriedenheit kriege, wenn es zum Beispiel der Georg schafft, an einen dranzukommen und dann dreht er sich auf der Hacke um und sagt: Ja, da haben wir noch ein Thema. Dann denk ich mir: Ohweia.
Holzach: Es wurde zuletzt relativ viel ausprobiert: Wieviel Unterhaltung läuft gut, wie schnell muessen die Themen wechseln, wieviel Tiefgang leistet man sich? Aber wir haben den Eindruck gewonnen, dass diese Sendung keinen Erfolg hat, wenn man die Privaten kopiert.
Schmidbauer: Das glaub ich auch, die Leute die junges, flaches und oberflächliches Programm wollen, die haben bessere Foren dafuer. Das Problem ist, dass das Becken haiverseucht ist. Ich weiss noch genau, als wir misshandelte Kinder da hatten, hat damals jeder gesagt, das geht doch nicht. Doch es ging. Aber die Themen wurden kaputtgemacht durch das Blut in den Talkshows. Du kannst heute eigentlich nur noch in die Talkshow kommen, wenn du schwul bist, einarmig und deine Frau an den Ohren ziehst. Und jeder redet ganz frei, als ob’s ganz normal wäre, dass man drei Lackhosen
übereinander trägt und es einem unglaublichen Spass macht, wenn man mit einem Nasenring über den Boden geschleift wird. Und dann sagt der Moderator: Aha, spannend.
Holzach: Freakshows.
Schmidbauer: Da hatten wir damals einen irrsinnigen Vorsprung. Da hast noch wirklich die Erschuetterung der Talkgäste gemerkt, die haben sowas das erste Mal erzählt. Damals waren so Situationen, wo du gemerkt hast, boah, jetzt sind wir an einem Punkt, an dem es derart brizzelt.
SZ: Hatten Sie das auch, Herr Holzach?
Holzach: Nein, ich muss mal überlegen. Also, heute ist das Ganze fuer die Macher der Sendung viel stärker eine Marketingfrage. Welche Nische will ich haben?
Schmidbauer: Also die Arroganz haben wir uns damals aber schon geleistet. Diese Arroganz, uns nicht nach Marketingfragen zu richten. Darüber haben wir uns totgelacht. Wir waren etabliert, da waren Sachen wie Marketing Pustekuchen.
Holzach: Ihr habt Coca Cola in der Wueste verkauft. Aber im Grunde genommen ist es immer noch der selbe Saft, aber wir sind nicht mehr in der Wüste.
SZ: Reden wir mal über Inhalte.
Holzach: Es gibt die selben Themen. Ob du sie gut findest oder nicht, das liegt an dir.
Schmidbauer: Es wird ja immer so rumgehackt auf den Moderatoren. Der eine war zu cool, ich war zu menschlich.
Holzach: Ach, vergiss es doch.
Schmidbauer: Aber es war tatsächlich so, dass ich mich in den zehn Jahren, in denen ich die Sendung gemacht habe, nie als Journalist gefuehlt habe. Ich habe mich wirklich – das mag jetzt blöd klingen – als einer von ihnen gefühlt . . .
Holzach: Das war dein erster Job, oder?
Schmidbauer: Ja, also meine erste journalistische Sache.
Holzach: Die Unschuld hatte ich lange verloren, als ich da anfing. Ich hab Formatradio gemacht, ZDF-Nachrichten als Redakteur, Show, Quotenfernsehen, Dating game. Und ständig dieses Bewusstsein. Wer will was hören? Was musst du liefern?
Schmidbauer: Die haben sich ja in der Redaktion bewusst Leute wie dich geholt, mit einem journalistischen Background. Die Unschuld war von vornherein verloren. Wenn die Leute von diesem Alabama- Charme sprechen, der ja leider weg ist, reden die schon auch von diesem gemeinsamen Reinfinden. Denn die Zuschauer und wir alle waren erstaunt, was damals passiert ist. Wenn sich die Redaktion jetzt wieder jemanden sucht, dann werden die sich nicht einen 22jährigen Wahnsinnigen holen, der das erste Mal vor dem Fernseher sitzt. Ich weiss nicht, ob es nicht mal wieder spannend wär, genau das zu tun.